Rauch und Staub umgaben mich. Nichts konnte ich erkennen, keine Häuser, keine Menschen. Ich hörte die Explosionen, aber konnte sie nicht sehen. Gerade hatte ich noch geschlafen, plötzlich fand ich mich im Bombenhagel wieder. Kampfflugzeuge des syrischen Regimes attackierten unser Dorf. In diesen Momenten ist der erste Gedanke immer sofort: Wie geht es meiner Familie? Man taumelt durch das Chaos, um irgendwie ein Familienmitglied zu finden. Bei so einem Angriff ist es die Angst um die Angehörigen, die einen erfasst; nicht so sehr die Angst um einen selbst.

Bei einem Bombenangriff verbindet die Angst Frauen, Männer, Kinder und Tiere. Alle flüchten gemeinsam. Oft sieht man Katzen und Hunde, die panisch nebeneinander Schutz in den Häusern suchen. Die Kinder laufen sofort ängstlich zu ihren Müttern. Deren Verzweiflung ist besonders schlimm anzusehen, denn in diesen Augenblicken können sie ihren Kindern nicht helfen. 2013 wurde das Dorf, in dem wir lebten, fast jede Woche zwei- oder dreimal bombardiert. Ich war 14 Jahre alt.

Zuvor hatten wir ein Jahr lang in Damaskus gewohnt. Obwohl es dort keine Luftangriffe gab, war das eine furchtbare Zeit für mich. Ich hatte dort immer Angst. Von meinem Heimatdorf Mohassan aus war einmal ein Kriegsflugzeug abgeschossen worden. Deswegen waren alle nach Damaskus geflüchteten Dorfbewohner in den Augen des Regimes verdächtig. Viele wurden verhaftet. In Syrien sagt man, wenn du verhaftet wirst, verschwindest du hinter der Sonne. Du bist dann weg, verloren. Jedes Mal, wenn ein Auto vor unserem Haus hielt, es an unserer Tür klopfte, mich jemand länger als gewöhnlich ansah, zuckte ich innerlich zusammen. Das Viertel, in dem wir lebten, war voller Assad-Anhänger. Die Menschen mistrauten sich gegenseitig. Es war unmöglich, über die Wut auf das Regime zu sprechen, oder über die Angst, mit der wir Tag für Tag durchs Leben gingen. Diese Gefühle nicht mit jemandem teilen oder rauslassen zu können, machte mich verrückt. In dieser Zeit begann ich, regelmäßig zu beten, um alles wenigstens für kurze Zeit vergessen zu können.

Im August 2014 beschlossen wir zu fliehen. Kurz vor Sonnenuntergang brach ich mit meiner Mutter und meinen Geschwistern in Richtung Türkei auf. Von dort aus reiste ich mit Verwandten weiter in die EU. In Mazedonien streiften wir tagelang orientierungslos durch den Wald, tranken und aßen fast nichts. In Ungarn wurden wir für ein paar Tage in ein Gefängnis gesperrt. Unsere Angst war groß, es doch nicht nach Deutschland zu schaffen. Als wir dann irgendwann am Münchner Hauptbahnhof aus dem Zug stiegen, waren wir unendlich erleichtert.

Seitdem ich zwölf bin, herrscht in Syrien Krieg. Die Erinnerung an die Angst ist in mir. Aber sie belastet mich nicht, denn jetzt kann ich endlich darüber reden. Jetzt spreche ich fast jeden Tag über meine Geschichte: Ich erzähle sie meinen Mitschülern, meiner Familie, schreibe darüber. Ich lasse alles aus mir raus und kann dadurch frei sein.

Ammar Al-Hilal, 18, in Deir ez-Zor, Syrien, geboren, beteiligte sich mit 12 Jahren das erste Mal an einer Demonstration gegen das syrische Regime. Er lebt mittlerweile in München und wird bald seinen Hauptschulabschluss an der Ridlerschule machen. Er träumt davon, Kriegsreporter zu werden, um der Welt von dem, was in Syrien passiert, zu erzählen.

Bilder: Manuel Stark