Im Krieg habe ich gelernt, was es heißt, immerzu Angst zu haben. 2012 konnte ich aus Syrien flüchten. Ich weiß nicht, wie lange ich diese Angst noch ausgehalten hätte, ohne wahnsinnig zu werden. In Syrien und auf meiner Flucht hatte ich oft Angst, aber es gab einen Moment, in dem ich wirkliche Todesangst spürte. Ich komme aus Homs, einer Stadt im Westen Syriens. 2012 gab es dort überall Scharfschützen des Regimes.

Am 2. Mai verließ ich das Haus, um Besorgungen zu machen und bog in eine Straße ein, in der ich keine Scharfschützen vermutete. Plötzlich spürte ich einen scharfen Schmerz – ich war getroffen worden. Ich lag am Boden in meinem Blut und dem Blut eines Freundes, der versucht hatte, mich wegzuziehen. Sie hatten ihm in den Oberkörper geschossen. Er war sofort tot. Ich wusste: Entweder ich sterbe hier auf der Stelle, oder die Assad-Schergen nehmen mich mit. Die Gedanken rasten in diesem Moment durch meinen Kopf, aber gleichzeitig war ich vollkommen erstarrt. Ein Mann konnte mich aus der Schusslinie retten. Ihm verdanke ich mein Leben. Danach verbrachte ich Wochen im Krankenhaus, lag im Koma. Auf Krücken flüchtete ich durch halb Europa und wurde immer wieder operiert. Bis heute leide ich unter Schmerzen. Alles Mögliche an meinem Körper ist kaputt. Aber auch in meiner Seele sind Spuren geblieben: dieser Moment des absoluten Ausgeliefertseins, die Furcht zu sterben.

In Syrien habe ich aber auch gelernt, dass es eine Angst gibt, die noch schlimmer ist als die Todesangst: die vor der Folter, vor dem langsamen, grausamen Tod. In Assads Gefängnissen zu landen, bedeutet genau das. 2011 war ich für ein paar Tage in einem dieser Kerker eingesperrt, wurde aber glücklicherweise nach ein paar Tagen wieder entlassen.

Der Angst aber bin ich dadurch nicht entflohen. Sie führt nicht dazu, dass man ständig außer sich ist, weint und schreit. Im Gegenteil. Das Gefühl macht einen stumm. Lautlos frisst es sich immer weiter in einen hinein. Bis heute vergeht keine Woche, in der ich nicht von der Zeit im Gefängnis träume.

In Deutschland habe ich keine Angst vor Tod und Folter. Dafür empfinde ich eine neue Art von Sorge, die in Syrien keinen Platz hatte: die Angst vor der Zukunft. Vor dem Krieg hatte ich einen Plan, studierte Jura. Jetzt beginne ich wieder bei Null. Meine Träume haben sich verändert. Ich möchte mich zum Medizintechniker ausbilden lassen und dann studieren.

Hier habe ich aber auch wieder glückliche Momente. Ich habe geheiratet, bin Vater geworden. Die Erinnerung an meine Angst begleitet mich jeden Tag, aber ich möchte sie nicht mein Leben bestimmen lassen. Ich habe immer noch Hoffnung.

Zayd Alhussein Alhilal, geboren 1990 in Deir ez-Zor, Syrien, studierte in Homs Jura, bevor er im Krieg schwer verletzt wurde. Seit November 2014 lebt er in München und verbrachte einen Großteil des Jahres 2015 im Klinikum Großhadern, wo er viele Male operiert worden ist. Zayd ist verheiratet und hat einen neun Monate alten Sohn. Den Integrationskurs hat er bereits hinter sich. Er absolviert gerade einen Sprachkurs und möchte bald eine Ausbildung beginnen.

Bilder: Manuel Stark