Sechs Jahre lang versuchte Anna professionelle Hilfe zu bekommen. Dann begann sie bei Instagram über ihre Angststörung zu schreiben und sich selbst zu helfen.

Die Bilder zeigen eine glückliche Frau. Anna lacht. Sie dreht die Nase nach links, streckt die gepiercte Zunge raus, schaut in die Kamera. „War fast zwölf Kilometer laufen“, schreibt sie. „Bin sehr stolz.“ 358 Likes bekommt sie dafür. Für ein Bild, das sie drei Monate später postet, sogar 824. Da fotografiert sie sich im Spiegel, von hinten, in einem weißen Body. „Show what you’ve got and always be proud of who you are“, schreibt sie dazu. Zeig, was du hast und sei stolz darauf, wer du bist.

Schön, sportlich, glücklich, selbstbewusst. Das alles ist Anna aus Koblenz. Das alles ist annafoxdevilswild, wie sie sich auf Instagram nennt. Doch Anna ist noch mehr. Sie ist eine Frau mit einer generalisierten Angststörung. Einer Erkrankung, die ihr viele nicht abnehmen. Dafür ist Anna zu glücklich.

Todesangst, Flugangst, Panikattacken.

Anna ist 26. Seit sechs Jahren gehört das zu ihrem Alltag. „Was wollen Sie denn?“, sagte einmal ein Therapeut zu ihr, „Sie sind jung, sehen gut aus, haben einen Job, einen Freund. Lachen Sie doch mal.“

Annas Angst beginnt immer mit einem Gedanken. Irgendwas tut weh, irgendwo drückt es. Ein eingeschlafener Arm, ein Zucken. „Was passiert mit meinem Körper? Bin ich krank?“ Manchmal kann sie den Gedanken abschütteln. Manchmal nicht. Dann kommt die Panik. „Was ist, wenn ich gleich sterbe?“ Sie versucht, sich zu beruhigen. „Nein, das kann gar nicht sein.“ Kurzes Durchatmen. „Aber was, wenn doch?“ Erst werden ihre Hände schwitzig, dann beginnt ihr Herz zu rasen. Sie hat das Gefühl, nicht mehr Anna zu sein. Als würde sie von oben auf sich selbst runterschauen. Als würde ihr Körper einen Kampf gegen den eigenen Kopf ausfechten. Wenn es ganz schlimm kommt, dauert der Kampf zwei Stunden. Danach ist Anna vollkommen fertig.

Dreimal hat sie versucht, sich Hilfe zu holen.

Das erste mal vor sechs Jahren. Über Monate sprach sie mit ihrem Therapeuten. Immer wieder fragte er sie nach ihrer Familie. Nach einer Weile hatte Anna das Gefühl, er wolle unbedingt beweisen, dass in ihrer Kindheit etwas Schreckliches passiert ist.

Da hatte sie erst mal genug. Für die nächsten fünf Jahre schluckte sie einfach die Tabletten, die ihr Hausarzt verschrieb. 15 Kilo nahm sie davon zu. Irgendwann halfen auch die Medikamente nicht mehr. Anna hatte fast jeden Abend Panikattacken. Doch auch der zweite Therapeut nahm sie nicht ernst. Es ginge ihr doch gut, sagte er. Sie solle positiver denken. Da nahm Anna einfach weiter die Tabletten.

Im Sommer 2016 ging sie in eine Tagesklinik. Dort war sie die einzige mit einer generalisierten Angststörung. Auch hier sagte man ihr: „Du hast doch ein gutes Leben, mach was draus.“ Nur die Gespräche mit den anderen Patienten halfen. „Auch wenn man nicht dieselbe Krankheit hat, ist es schön zu sehen, dass man nicht alleine ist“, sagt Anna.

Neulich passierte es im Café. Es war ein ganz normaler Nachmittag mit einer Freundin, Kaffee, Zigaretten, Musik. Plötzlich schlich etwas in ihr hoch. „Das geht nicht gut aus“, dachte Anna. Die Hände, das Herz. Die Freundin nahm ihre Hand, atmete mit ihr, langsam ein, langsam aus. Wäre sie mit jemandem im Café gesessen, der sie nicht so gut kennt, sagt Anna, wäre sie einfach gegangen. Heimradeln trotz Panikattacke, das schafft sie.

Dort setzt sie sich aufs Sofa, in ihre Ecke, hinten rechts. „Aussitzen“, sagt sie dazu. So zeigt sie ihrem Körper, dass nichts passiert. Wenn sie die Panikattacke abblockt, sagt sie, lernt er nichts dazu. Also atmet Anna. Tief ein, tief aus. Bis es vorbei ist.

Wenn ihr Freund da ist, nimmt er sie in den Arm und krault ihren Kopf. Ihn ruft Anna an, wann immer sie spürt, dass die Angst kommt. Er nimmt immer ab. Fragt, ob sie abends Pizza bestellen sollen und einen witzigen Film schauen, und lenkt sie damit ab. „Lichtblicke“, nennt Anna das. Nur er kann das. Meistens hilft es.

Eigentlich wollte Anna im Mai mit ein paar Freunden nach Florida fliegen. Aber sie sagte ab. Die Angst vor dem Flug war doch zu groß. „Der Start ist das schlimmste. Der Moment, in dem du weißt, du kannst nichts mehr machen. Du gibst einem anderen Menschen dein Leben in die Hand.“ Schon der letzte Flug war eine Katastrophe. In der Nacht zuvor hatte Anna Schweißausbrüche, Kopfschmerzen, konnte vor Nervosität kaum schlafen. Vor dem Abflug rauchte sie eine halbe Packung Zigaretten. Als der Flieger abhob, klammerte sie sich an ihre Freundin, weinte. „Ich sah aus, als würde man mich in die Todeszelle bringen, nicht, als würde ich in den Urlaub fliegen.“

Anna will nicht enttäuschen. Nicht bei der Arbeit, nicht im Freundeskreis. Sie will nicht gehen müssen wegen der Angst, oder kurzfristig absagen. Jetzt bloß keine Panikattacke bekommen, denkt sie dann. Da hat sie Angst vor der Angst.

Seit sie in der Tagesklinik war, hat sie bei 50 oder 60 Praxen angerufen. Bei manchen ist sie auf der Warteliste gelandet. Sie fühlt sich allein gelassen. „Vielleicht muss ich irgendwann mal heulend anrufen und sagen, dass ich mich gleich umbringe, damit ich einen Platz bekomme. Aber das will ich gar nicht. Es stimmt ja nicht.“

Im Winter 2015 schrieb sie das erste mal auf Instagram über ihre Angst. Zwei Wochen lang lag sie im Bett, hatte die Grippe, fühlte sich elend. „Da habe ich angefangen, über mich nachzudenken.“ Sie schrieb einfach drauf los. Was soll passieren, dachte sie. Im schlimmsten Fall hören die Leute einfach auf, dir zu folgen. Doch das taten sie nicht. Im Gegenteil. „Du bist immer so tough und siehst so glücklich aus. Und dann hört man sowas“, schrieb einer. „Mir geht es auch so. Gut, dass du darüber schreibst“, eine andere.

Anna versucht jetzt, ihre Ängste bewusster auszuhalten. Sie setzt sich Situationen aus, bei denen sie weiß, dass etwas passieren könnte. Nur sokann sie ihren Körper und ihre Angst irgendwann als Einheit sehen, sagt sie. Sie hat mal gelesen, man solle die Angst wie einen Freund behandeln.

Es geht ihr besser, dem Kopf und dem Körper. Sie hat angefangen, Sport zu machen. Viermal die Woche geht sie ins Fitnessstudio. Die 15 Kilo hat sie wieder verloren. Auch ihre Transformation zeigt sie auf Instagram. Manche folgen ihr deshalb. Andere mögen ihre Tattoos oder ihren Look. Beinahe 8000 Follower hat sie inzwischen. Nicht jedem geht es um die Posts, in denen Anna über ihre Angststörung schreibt.

Sie tut es trotzdem. Es ist ihre eigene Mini-Therapie.“Es ist etwas anderes, jemandem eine Sache persönlich ins Gesicht zu sagen, oder sie sich von der Seele zu schreiben“, sagt sie. Anna hat aufgehört, sich für ihre Krankheit zu schämen. „Viele Leute denken, man bildet sich die Angst ein. Dann heißt es, spring doch über deinen Schatten. Das verstehe ich nicht. Ich wäre glücklich, wenn ich das nicht hätte.“ Psychische Krankheiten, sagt Anna, werden den Patienten noch immer viel zu sehr als eigene Schuld angelastet. Als Einbildung. Als Schwäche.

Auch das ist ein Grund, warum sie öffentlich über ihre Angststörung schreibt. Damit mal jemand redet. Damit andere auch anfangen. Damit die, die noch allein sind, merken, dass sie nicht die einzigen sind. Sonst, sagt Anna, denkt man manchmal selber, man sei verrückt.

Bilder: Baran Datli